The Beijing Diaries No. 1: 春节 (Frühjahrsfest)

Am 21.  Januar begaben wir uns nach einem spektakulären Gepäck-Umpack und -Transport-Manöver durch eisigen Wind frühzeitig an den Flughafen. Wir hatten rechtzeitig mitbekommen, was in China für ein Reisechaos herrscht, da alle ChinesInnen zum Frühlingsfest nach Hause fliegen oder fahren wollen. Um Zugtickets muss man sich prügeln und Flugbillets werden täglich, sogar stündlich, teurer. Nach Kaffe, Sandwiches und Doughnuts wollten wir gemütlich einchecken gehen. ABER: unser Flug war gecancellt, das Flugzeug in Reparatur. Wir wurden auf einen Flug umgebucht, der 40 Minuten später abflog. Das heisst, wir hetzten förmlich von einem Ende des Flughafens zum anderen, um noch rechtzeitig zum Boarding zu kommen. In Peking wurden wir von Herrn Wang und seiner Frau Haoyan am Flughafen abgeholt und freundlich begrüsst. Die beiden sind mitte dreissig und haben eine Arztausbildung. Letzten November bis diesen Januar waren sie in Zürich, und Herr Wang (Neurochirurg) lernte meine Tante (Operationsschwester) im Unispital kennen. Sie erzählte von ihrer Nichte in Dalian und so kam ich ganz unverhofft zu einer Einladung zum Frühlingsfest in Peking. Die beiden wohnen ausserhalb der 5. Ringstrasse in der Nähe der Chinese University of Communication und haben eine hübsche 4-Zimmer-Wohnung in einer Wohnanlage. Kaspar und ich dürfen im Gästezimmer wohnen und freuen uns riesig über die Gastfreundschaft. Nachdem wir unser Gepäck verstaut hatten, nahmen sie uns mit zu unserem ersten Pekinger Znacht. Finanziell beteiligen durften wir uns allerdings nicht.

 

Am 22. wird das traditionell das Frühjarhrsfest gefeiert. Soviel ich verstanden habe, hat der Name zwei Bedeutungen: "Guo Nian" kann als "vergangenes Jahr" verstanden werden, aber auch als Ungeheuer, das vorbeikommt ("nian" hätte dann die Bedeutung dieses Ungeheuers): "Eine alte Legende besagt, dass ein menschenfressendes Monster jährlich aus den Bergen (oder, je nach Quelle, aus dem Meer) kam, um seinen Hunger nach dem Tiefschlaf zu stillen. Um sich vor dem „Jahresmonster“ (年獸 / 年兽 Niánshòu) zu schützen, machten die Menschen Lärm und Feuer und färbten alles rot, da das Monster angeblich sensibel auf die Farbe Rot und Lärm reagieren würde. Die Vertreibung des Monsters wird „Guònián“ genannt, Gehen des „Nian- oder Jahresmonsters“ (過年 / 过年), womit das Gehen des alten Jahres gemeint ist, also das Neujahrsfest (aus Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisches_Neujahrsfest#Mythologie). Herr Wang fuhr also mit uns in die Stadt, ursprünglich um Mao's Mausoleum zu besichtigen, welches aber leider geschlossen war. Wir gingen also stattdessen mit, um Feuerwerk und Knallzeug zu kaufen. Herr Wang und Kaspar verfielen in helle Freude ob der grossen Auswahl und kehrten mit glänzenden Augen und schweren Tüten bepackt zurück. Am Nachmittag kauften wir noch die letzten Zutaten für ein traditionelles Essen ein, dann wurden Kaspar und ich vor dem Fernseher parkiert und in der Küche fanden hinter verschlossenen Türen die geheimen Vorbereitungen für Festmahl und Jiaozi (chinesische Teigtaschen) statt. Der Zutritt zur Küche wurde uns erst wieder gewährt, als es an das Füllen und Schliessen der Jiaozi ging. Gar nicht so leicht! Man muss die Fleischmasse in der Mitte eines etwa handtellergrossen Teigrunds platzieren und dieses anschliessend kunstvoll verschliessen. Um 8 Uhr fand das erste Feuerwerk statt, denn 8 ist in China eine Glückszahl (8 wird "ba" ausgesprochen und lehnt sich somit klanglich an "fa", "Glück", an). Schon dieses "kleine" Feuerwerk war ein Spektakel: Es gab Schnüre mit Knallern, so lange wie ein Finger, die man anzünden konnte und die dann in einer lauten Knallserie explodierten. Es gab Raketen, die laut wie ein Gewehrschuss explodierten. Und Vulkane, die ein glitzerndes Weihnachtsbaum-Feuer spieen. Nach diesem ersten Eindruck gingen wir wieder in die Wohnung, um mit Baijiu (eine Art chinesischer Schnaps), Rotwein und Orangensaft anzustossen und das köstliche Mahl zu goutieren. Besonders angetan haben es mir die Jiaozi, die ich, obwohl überzeugte Vegetarierin, natürlich probieren musste. Um Mitternacht gingen wir noch einmal nach draussen und genossen das feurige Spektakel im Quartier. Ich muss sagen: Der erste August ist harmlos dagegen. Die Luft war erfüllt mit gewaltigem Lärm, Krachen, Blitzen und Funkeln. Es gab Vulkane, die Farberuptionen bis in die Höhe des 30. Stockes spieen. Mancher Chinese trug gleich eine ganze Kiste heran, die man einmal anzündet und die dann aus ihrem Innern unablässig Knaller in alle Richtungen wirft. Es gab laute Heuler und leise Farberuptionen. Der Himmel über Peking war erfüllt von blauen, grünen, roten und gelben Farbregen. Ich würde sagen, das Monster wurde für dieses Jahr gründlich vertrieben!

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